Vermeintliche Normalität – der Alltag hat uns wieder
So, der Alltag hat uns wieder. Juchhu! Unser Leben bewegt sich wieder in vermeintlich sicheren Bahnen. Endlich!! Meine großen Kinder (nun 2. und 5. Klasse) sind wieder in der Schule – im Regelunterricht und der Kleine (2 Jahre) darf wieder in die Kita. Großartig!!! Wir dürfen wieder ganz normal arbeiten! Selten haben mein Mann und ich uns so sehr darüber gefreut. Nach den vergangenen Monaten des Spagats zwischen Beruf und Familie fühle ich mich allerdings total ausgebrannt und leer. Das, was Eltern ohne die gewohnte Betreuung zu stemmen hatten, war unglaublich anstrengend und kräftezehrend. Ja, nach 5 Monaten ohne Kita und kaum Schule kam im Juli für viele Eltern dann auch noch die Kita- oder Schulschließzeit, wo man im Bestfall in den Urlaub gefahren wäre. Aber 1. wohin wäre man sinnvollerweise gefahren ohne große Risiken einzugehen und 2. noch einmal die Arbeit liegen lassen – für die meisten Selbstständigen, wie auch für uns, ging das einfach nicht. Und obwohl wir uns jetzt sehr freuen, schwebt das Damokles Schwert immer noch direkt über uns – denn wir stecken noch inmitten der Pandemie und vielleicht kurz vor einer zweiten Welle oder einem Coronafall in einer der Einrichtungen unserer Kinder. Was dann passiert, das will ich mir lieber nicht vorstellen, ich könnte sofort losheulen, nur beim Gedanken daran.
Alle Beteiligten müssen lernen, wie man digital lernt, das ist die Grundlage
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Etwas betrübt schaue ich jetzt, zum Schulstart, auf die fehlenden handfesten Pläne und Konzepte, die von den Bildungsministerien nicht vorgelegt wurden, denn außer Entscheidungen zu Hygienekonzepten und Vorgaben zu genau diesen, dringt nichts an die Öffentlichkeit. Ok, ich kann mir vorstellen, dass alle derzeit maximal ausgelastet sind auf die Krise zu reagieren. In den Ministerien arbeiten ja auch nur Menschen, aber wurden diese 6 Wochen Sommerferien denn nun genutzt? Gibt es jetzt, zum neuen Schuljahr, eine Perspektive? Wurden die Vorbereitungswochen der Lehrer für wichtige Weiterbildungen und Schulungen eingesetzt? Bei einer Stichprobe mir bekannter Lehrer in Berlin und Brandenburg wurde mir berichtet, dass dies, wenn dann nur eigeninitiativ von einzelnen LehrerInnen initiiert wurde, die dann im Bestfall das gesamte Kollegium über Ideen und Maßnahmen informierten und dabei dann auch auf ordentlich Gegenwind stießen, denn die Meinungen der Beteiligten über die Konditionalitäten, was müsste, sollte, könnte, sind sehr divers. Aber seien wir mal ehrlich: mit den Lehrkräften hört es ja nicht auf – auch die Schüler müssen an digitales Lernen herangeführt werden. Auch Digital Natives, denen das Konsumieren neuer Medien, das herumdaddeln, YouTube schauen und chatten in die Wiege gelegt wurde, müssen digitales Lernen lernen. Es gibt nichts, was sie befähigt die Schulclouds zu nutzen oder wie man sich in einen Videocall einwählt, selbst das Anlegen einer Email-Adresse dürfte den meisten Schülern ohne ihre Eltern in der Grundschule nicht gelingen. Ein kollossaler Irrtum, wenn man denkt, dass die Schüler wissen, was sie tun. Eine kleine Analogie: obwohl Schüler in der ersten Klasse zumeist muttersprachlich Deutsch sprechen können, lernen sie weitere 10, 12 oder 13 Jahre noch dazu im Deutschunterricht. Das ist genauso bei den digitalen Medien. Auch wenn man einiges weiß, gilt es noch so viel dazu zu lernen. Problem erkannt – jetzt schon seit einiger Zeit. Was wird getan? Wann wird gehandelt?
Statt NACH Corona vielleicht MIT Corona?
Es ist ernüchternd: Die Politik fährt immer noch auf Sicht in einem gigantischen Experiment, was jederzeit scheitern kann. Das ist pokern auf Zeit aber kann keine Lösung sein, weil es immer noch ein reagieren und kein agieren, kein Weichen stellen für die Zukunft ist. Die Hoffnung auf die Zeit nach Corona, die möglicherweise eine Zeit mit Corona werden könnte (nur zur Erinnerung, es gibt immer noch keinen Impfstoff gegen den HI-Virus und andere bekannte Viren), die reicht nicht.
Keine Veränderung, Bildung ist immer noch ein Glücksspiel
Und so startet das neue Schuljahr, wie das alte geendet hat. Als Eltern hat man immer noch entweder Glück oder Pech mit seiner Schule, der Bereitschaft des Senats oder Schulleitung zeitnah und gut zu kommunizieren, dem ausgearbeiteten Hygienekonzept, Vorerkrankungen von Lehrern, die vielleicht weiter freigestellt sind und der generellen Bereitschaft sich aus der Komfortzone zu begeben - weg vom Lehren, wie es immer gemacht wurde, hin zu einem Lehren, wie es in Zeiten von Corona und nicht zuletzt mit den technologischen Möglichkeiten, die wir haben, sinnvoll wäre – methodisch, didaktisch und vor allem auch inhaltlich um die Kinder wirklich für die Zukunft vorzubereiten.
Erst müssen alle Beteiligten ein gemeinsames Verständnis erlangen
Es kann doch eigentlich gar nicht so schwer sein: wir alle – Eltern, Lehrer, Schulleitungen und die zuständigen Ministerien, Psychologen, Pädagogen, Vereine und Vordenker im Bildungsbereich, sogar die Schüler haben es verstanden – es muss sich etwas tun. Wir brauchen ein einfaches, gutes Konzept zur Evolution und teilweisen Revolution unseres Bildungssystems. Die finanziellen Möglichkeiten sind bereitgestellt – aber wissen die Schulen, wie das Geld abgerufen wird? Sollten sie eigentlich aber es ist kompliziert. Die immer noch schwierigen bürokratischen Wege, die gegangen werden müssen, übersteigen oft die Kapazitäten – in erster Linie zeitlicher Natur. Ein unlösbares Problem? Mitnichten – eines, welchem mit einem einfachen Konzept jeder Kommunikationsagentur keine Hürde mehr darstellen würde. Das löst die Thematik aus, was die Schulen denn eigentlich an Infrastruktur benötigen. Das ist kniffliger, da man dafür eine Idee haben muss, was es alles gibt und was wirklich sinnvoll ist. Dafür müsste es einen Überblick der Möglichkeiten geben. Lehrer, Schulleiter und auch Ministerien müssten alle mal auf einen gemeinsamen Wissensstand gebracht werden. Die Herausforderung dabei: Die Wissensunterschiede sind jetzt schon eklatant und akzeptiert sind diejenigen, die sich sehr einbringen von denen, die sich aus ihrer Komfortzone lieber nicht heraus bewegen wollen, eher nicht. Dabei ist eines klar: Man weiß immer nur so lange nicht was man alles nicht weiß, bis man es weiß. Will sagen: je nachdem, welche Weiterbildung gemacht wurde oder welcher Podcast gehört oder Artikel gelesen wurde, ist das genau der Stand, den jeder einzelne Lehrer dann hat. Logisch, dass der dann sehr unterschiedlich ausfällt.
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Es gibt keine Alternative zum Entscheiden und Handeln
Aus der Wirtschaft kommend, in den Themen Personalarbeit, Weiterbildung und Entwicklung, Digitalisierung, Change und Führung versiert, habe ich eine eigene Perspektive auf das, was die technischen Möglichkeiten heutzutage an Lehrunterstützungsoptionen sein könnten, wie eine gute deutschlandweite Plattform aussehen kann, wie dieser große Schulapparat in unserem Land eine gute Basis des Verständnis bekommen könnte auf dem dann aufgebaut würde. Warum sind wir nicht in der Lage einen Kanon aufzuschreiben, was die Lehrer und die Kinder können müssen? Für die meisten heißt das neue Kompetenzen erwerben um zu wissen, was man verstehen will! Ja, das heißt Weiterbildung, ja, dafür muss man sich Zeit nehmen und ja, das ist der einzige Weg alle Beteiligten auf einen Nenner zu bringen. Die digitalen Möglichkeiten das flächendeckend, im Idealfall bundesweit zu machen, so, dass der 30-jährige Sportlehrer die Inhalte genauso versteht, wie der 60-jährige Mathelehrer und auch die 40-jährige Sprachlehrerin, die gibt es! Wieso erwartet man von Lehrern, dass sie wissen, wie man digital unterrichtet, wenn nicht einmal in den Universitäten dieses Wissen vermittelt wird. Nur mit vereinten Kräften, nicht mit finanziellen Eigeninteressen und kapitalistischer Opportunität können die vielen zukunftsfähigen Visionen und auch berechtigten Fragen und kontrovers diskutierten Vorschläge von Harald Lesch, Richard David Precht oder den Initiativen von Verena Pausder und Co. ein Weg ins Klassenzimmer finden. Freiheit in unserem föderalen System kommt mit Verantwortung – die muss, liebe Bildungspolitiker, Minister, Staatsräte, übernommen werden. Nutzt eure Freiheit, indem ihr eure Kräfte bündelt und gestaltet, mutig und sinnvoll aber vor allem entscheidungsfreudig. Nichts ist lähmender als keine Entscheidungen, keine konkreten Pläne, keine Vision und ultimativ dadurch auch kein Handeln. Die Erkenntnisse, die Mittel, die Möglichkeiten liegen vor euch. Nutzt sie, denn das, was wir aus den vergangenen Monaten eindrücklich gelernt haben, ist, dass wir Schulen, diese unglaublich wichtigen Orte der Begegnung, des sozialen Miteinanders, des Lernens von so vielem mehr als der Inhalte des Rahmenplans, Lehrern und Erziehern in all ihren Facetten für unsere Kinder brauchen, aber sie brauchen uns auch! Seid mutig und handelt – ihr habt Lehrer, Eltern und Schüler an eurer Seite, denn wir alle haben erlebt, wie es ist, keinen Plan B zu haben. Das darf uns nicht noch einmal passieren, denn die Erkenntnis reicht nicht, man muss auch handeln – ich bin bereit zu unterstützen, wie so viele.
PS: Solltet ihr Bedenken haben, denn Veränderung kommt immer mit einem großen Maß an Verlust (von Gewohntem), das wird sich auch zukünftig nicht ändern. Denkt dran, schmerzvoll genug war der Lockdown für Eltern und Lehrer allemal – her mit dem Verlust ähm, der Veränderung!
Autorin: Ulli Dittgen-Noweski hat 15 Jahre Erfahrung als HR Executive mit globaler Verantwortung. Dies, ihre 3 Kinder, ein digitaler EMBA & die Passion für Bildung sind die Basis und der Grund digitales Lernen aus den Augenwinkeln der Wirtschaft zu sehen. In ihrer Firma Learn or Lose kombiniert sie dies mit altbewährten Geschichten um für die Zukunft Verständnis durch Lernen zu kreieren.
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