Wie der Berliner Senat die Ferien nutzte um die Lehrer und Schulen zu unterstützen: Fachbriefe als Kommunikationsmittel.
Autorin: Ulli Dittgen-Noweski hat 15 Jahre Erfahrung als HR Executive mit globaler Verantwortung. Dies, ihre 3 Kinder, ein digitaler EMBA & die Passion für Bildung sind die Basis und der Grund digitales Lernen aus den Augenwinkeln der Wirtschaft zu sehen. In ihrer Firma Learn or Lose findet sie Lösungen um Kommunikation zu verbessern und für die Zukunft Verständnis durch Lernen zu kreieren.
In der Pandemie sind wir alle seit bald 6 Monaten im Krisenmodus. In den Ministerien und Ämtern heißt das: alltägliche Tätigkeiten werden auf das Notwendigste reduziert und Prioritäten neu gesetzt für ein gemeinsames Ziel: die Minimierung der Ausbreitung von COVID 19. Die relevanten Prozesse werden so gut es geht am Laufen gehalten – aber wer definiert denn eigentlich welche Dinge relevant und notwendig sind und wie lange wir im „Krisenmodus“ verharren? Und wann lernen wir aus den Erfahrunge, die wir in der Krise erkannt haben um für die Zukunft vorbereitet zu sein? Nutzen wir die Zeit gerade richtig?
In einem Interview von Harald Asel im Inforadio stellte sich die Berliner Staatssekretärin für Bildung, Jugend und Familie, Beate Stoffers, der Frage, wie die Sommerferien im Bildungsministerium genutzt wurden. Sie sagt, dass die Mitarbeiter sich mitnichten „einen schlanken Fuß“ gemacht haben, sondern für zahlreiche Fächer Fachbriefe neu erarbeitet wurden um die Schulen zu unterstützen fachbezogen schulisch abgeleitetes Lernen zu Hause (saLzH) durchführen zu können.
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Sie wirkte stolz und zufrieden mit dem erreichten. Wenn man bedenkt, dass jede Schule ihr eigenes Konzept für Präsensunterricht und Online-Lernen im Frühjahr entwickelt hat, auch die Hygienekonzepte anhand der teilweise völlig realitätsfernen Vorgaben erarbeiten musste, die relevanten Informationen der Senatsverwaltung meist zuerst bei der Presse landeten bevor die Schulleitungen diese bekamen, da frage ich mich, wie wichtig neu erarbeitete Fachbriefe für die Schulen momentan sind. Natürlich sind es Fachbriefe, die bisher das Medium der Wahl waren. Es ist die „Komfortzone“ und das Tätigkeitsfeld, in dem Senatsmitarbeiter sich auskennen und welches sinnvoll erscheint, weil man so mit den Schulleitungen und Fachlehrern in unserem Schulsystem kommuniziert.
Jemand wie ich, der seine Arbeitserfahrung in der Wirtschaft gemacht hat, sich als globale Personalleiterin intensiv mit interner Kommunikation, mit Lernen und Weiterbildung, mit Veränderungen und strategischer Planung und den Herausforderungen der Digitalisierung auseinandergesetzt hat, der darf sich vielleicht fragen, ob das Entwerfen von Fachbriefen in der Krisensituation erforderlich und zweckmäßig, oder gar zeitgemäß ist. Es könnte auch eine weitere Bestätigung dessen sein, was ich nach vielen Gesprächen mit Lehrern und Schulleitern immer wieder heraushöre: Bildungsministerien gehen von anderen Realitäten aus als die Praxis in den Schulen nahelegt. Sie reagieren aus diesem Grund oft nicht adäquat und immer zu langsam. Mit bestem Wissen und Gewissen aber von „außen“ würde ich sagen, dass Lehrern, fachlich, inhaltlich zuzutrauen ist, elementare Themen auch in der Pandemie zu priorisieren. Das sollte zudem über die Schulleitungen und Fachbereichsleiter sichergestellt sein und wurde jetzt ja oftmals, mal mehr mal weniger gut, je nach Schule, Lehrer und Engagement, gemacht.
Die Arbeitskraft der Mitarbeiter des Bildungssenats einzusetzen um wirklich vorzudenken, zu erkennen, wo sie im Prozess unterstützen können, Konzepte entwickeln lassen, die nicht bereits parallel in den Schulen (notwendigerweise) selbst erarbeitet werden, das könnte einen Unterschied machen. Fragen, wie wir unsere Bildung chancengerechter machen, wie wir die digitalen Möglichkeiten schon jetzt nutzen könnten um Schulleitungen und Lehrer schneller zu informieren und Feedback zu den ausgerollten Maßnahmen direkt, nicht nur von einigen wenigen sondern vielen gleichzeitig zu bekommen? Wie wir weg vom analogen Weiterbilden oder dem Verschicken bloßer Links hin zu Lernpfaden und verpflichtendem digitalen Lernen für alle Beteiligte gelangen könnten? Die Technologie würde dies ohne Probleme bereits möglich machen. Das wären Themen, die ich gerne endlich angepackt sehen möchte, das wäre ein wirklicher Plan B und in meinen Augen Arbeitskraft sinnvoll eingesetzt.
Und ja, es ist richtig, keine Transformation passiert von heut auf morgen – aber das kann kein Grund sein, den Prozess gar nicht zu starten. Die Zutaten für einen Start wären Visionen – Verena Pausder hat dazu gerade ein Buch geschrieben, Praktiken aus der Wirtschaft, Inspiration und einen starken Willen – denn Veränderung ist immer eine Herausforderung. Aus Erfahrung weiß ich, dass Veränderungswille und -notwendigkeit trotz detaillierter rationaler Erklärungen und zumeist sogar Verständnis, immer auch auf Gegenwehr stößt, wenn es einen selbst betrifft. Warum? Menschen verlassen ihre Komfortzone nicht ohne Widerwillen und dem Gefühl von Verlust von Gewohntem und Bekanntem. Kombiniert mit dem Wissen über den Aufwand, sich das Neue zu eigen zu machen, braucht es gute Argumente und klare Vorteile um Veränderung anzunehmen, sie vielleicht sogar mit Freude zu begrüßen.
Teil des Tricks ist wirklich gute Kommunikation. Dies und die Flexibilität und Offenheit für Veränderung ist es, die heutzutage immer wichtiger werden, da sich jährlich, nicht zuletzt auf Grund der Digitalisierung, laut LinkedIn Workplace Learning Report, 5-10% der Rollen (Berufe, wie man sie ausführt) radikal verändern werden. Das trifft sowohl für Lehrer als auch für Schüler und deren zukünftigen Berufswege zu. Eine Kultur der ständigen Veränderung & des lebenslangen Lernens ist demnach das Gebot der Stunde. Sich anpassen können wird unumgänglich um zu bestehen. In der Wirtschaft kennt man das: Wenn es zu Stellenkürzungen wegen veränderten strategischen Parametern kommt, dann ist der allererste Schritt zu überprüfen ob die Aufgaben, die momentan erledigt werden, noch die sind, die morgen verrichtet werden müssen um veränderte Zielsetzungen als Unternehmen zu erreichen und damit konkurrenzfähig zu bleiben. Wenn etwas grundlegend verändert wird, werden Stellenbeschreibungen und Rollenprofile gecheckt. Entsprechen diese noch dem, was die Organisation braucht um weiterhin erfolgreich zu operieren oder sind das die Aufgaben, die angepasst werden müssen um dem Wettbewerb zu trotzen? Es sind eben nicht „nur“ die Lehrer, die dazuzulernen haben! Um dem Schulsystem beizukommen, sind es auch die Schulämter, der Senat und die Ministerien, die sich einer veränderten, digitalen Welt stellen müssen. Ganzheitlich transformieren in eine bessere Zukunft.
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